PARALLELWELTEN

Ina Gille

Rede zur Ausstellungseröffnung Museum Schloss Rochsburg, 7. Juli 2006 (Ausschnitt)

Parallelwelten? Etwa virtuelle, gar die anderer Dimensionen, unseren Sinnen unerreichbar? Das eher nicht. Immer noch die von Kunst und Leben, durch vielerlei sichtbare wie unsichtbare Brücken verbunden, lose einander gehörend oder unentwirrbar miteinander verkettet. In dieser Ausstellung bekommt der Titel noch eine weitere Bedeutung. Eine Frau, ein Mann, beide Künstler, die ihr Leben miteinander teilen, Kinder großgezogen haben, den Alltag bewältigt, stehen sich in ihren Kunstwerken als zwei autonome Wesen gegenüber, werden durch diese ihre Werke zu Parallelwelten. Wobei es auch hier Brücken von der einen zur anderen Welt gibt, Berührungen wie Abstoßungen, des einen Lebens vom anderen, des einen Werkes vom anderen.

Zwei sehr verschiedene Kunstwelten, als wären sie absichtsvoll zueinander ins Extrem getrieben, weil sich Extreme besser als Nähen aushalten. Zu einfach, da ist nichts Absichtsvolles oder Spekulatives, denn hier sprechen sich zwei grundverschiedene Temperamente aus, setzen sich im je eigenen Werk durch, prägen es. Zwei Mal Autonomie - parallel zueinander.

Das Werk Roland R. Richters ufert stärker aus, schwingt in größeren Gegensätzen. Es trägt sichtbar Lebensspuren, schmerzhafte Wandlungen haben sich eingeschrieben und es hat mit dem Sieg der inneren Sehnsüchte über lähmende Resignation zu tun. Zu sehen sind Landschaftsdarstellungen, konzentriert auf die endneunziger Jahre mit Rückblenden bis in die siebziger. Diese Auswahl kann den Umbruch im Werk des Künstlers aufzeigen, der sich Mitte der 80er Jahre vollzog, verbunden mit einer tiefen persönlichen Krise, die sich in einer Krankheit. entlud.

Da war auf der einen Seite das Lehramt mit den üblichen staatlichen Verpflichtungen und auf der anderen die dissidentischen Freunde, der eine von ihnen Sieghard Pohl, der in Bautzen verschwunden war, danach in den Westen abgeschoben. Kompromisse waren zu finden, innere Zweifel zu dämpfen, Gradwanderungen. Das musste krankmachen. Welch rigoroser Schritte hat es bedurft, um all den angesammelten inneren Ballast abzuwerfen, freizuwerden für das eigene Leben und die Kunst, bis hin zu den großen farbigen Blättern der letzten Jahre, die durchatmen lassen, Sinnlichkeit mit spielerischer Freiheit vereinen.

In Zwiesprache mit der Natur gab es bei Roland R. Richter keine Verstellungen, seine Landschaften der 70er Jahre sprechen davon, von der gestockten Zeit. Bis in die achtziger Jahre hinein sind sie geprägt von surrealen Verwerfungen, Gespinste in Farben, müde gebrochen, Traumängste mit nur mühsam durchschimmernder Helle, häufiger in Starre und Trauer gefasst. Im Nachhinein ist sie deutlich zu fühlen, jene Stimmungslage der Geschlossenen Gesellschaft, in der auch der Kunst ein kleiner Raum zugewiesen war, ein geschlossener, in sich verschlossener, der nicht so ohne weiteres aufzubrechen war.

Die Junge Kunst hatte damit weniger Schwierigkeiten, Mitte der 80er Jahre wurde ihr anderes Auftreten unübersehbar. Hemmungslos gab sie der überall spürbaren Krise künstlerischen Ausdruck. Ihr expressives Ausschreiben, der von ihr konsequent eingeforderte Lebensanspruch, ihr widerständiges Suchen, erfassten auch Roland R. Richter und mögen ihm letzte Schubkraft gewesen sein, sich der eigenen Lebenskrise zu stellen, nach neuen Ausdrucksformen zu suchen. Auf seinen Zeichnungne brechen die Formen auf, zeichenhafte Kürzel werden den Blättern eingeschrieben, der Künstler beginnt loszulasen, dem eigenen Ausdrucksverlangen zu trauen. Die Formen werden großzügiger, bekommen einen drängenderen Atem. Seine Aquarelle und Gouachen werden heller, die Farbigkeit verliert ihre Schwere, ihre tragisch mutende Gebundenheit, wird lebendig aufsässig. Roland. R. Richter, schält sich aus seinem Körpergefängnis. Auseinandersetzungen mit Rilke fassen das bislang Unfassbare, die eigenen Zweifel werden zum gestalterischen Motiv, neue Kraft kündet sich an.

Nach der Wende greift er nach den neuen Medien, nun wirklich greifbaren elektronischen Möglichkeiten, knüpft an seine frühen Schmalfilmversuche an, ihr flatterndes Summen, denen bald die road movies der Neuen Welt folgen. Sein solcherart durch die Technik focussierter Blick, ein spannender, in dieser Ausstellung ausgesparter, läßt andererseits die Sehnsucht nach direkter Berührung, nach Fühlbarkeit, irdener Sinnlichkeit übergroß werden. In Italien, der Toscana, enstehen seine In-Terra-di-siena-Serien, große Malereien und Farbblätter zur Landschaft. Hier beginnt Roland Richter mit Erden zu malen, mit dem, was die Natur birgt. Er zerreibt das vorgefundene Material mischt es mit Eitempera oder Acryl, malt auf großformatigen grundierten Papieren. Zerschlägt Ziegel und anders Gestein, fügt auch das seinen Blättern bei, wie er Papiercollagen einklebt, alles zu einer neuen Einheit zu bringen. Freiräume in tonigem Ockergemenge, in rostfarben spröder Sperrigkeit entstehen. Variantenreiches Erkunden eines anderen Geländes, neuer innerer Möglichkeiten. Diese Blätter werden nicht mehr direkt vor Ort gestaltet, sondern in sinnender Nachschau. Ab und an helfen die kleinen im Freien enstandene Skizzen. Ja, Roland R. Richter hat gelernt loszulassen, schöpferisch zu spielen, bis an die Grenze zum Chaos zu gehen, das er am Ende in Form wieder zurückbindet. Zu erleben als Leichtigkeit, als Fülle von Himmel und Luft, gedehnte Weite in locker gesetzter Tonigkeit oder geschichteter Dramatik ...